Peter Lichmann disqualifiziert

Presseerklärung der Schachabteilung des SV Werder Bremen zur nachträglichen Disqualifikation von Peter Lichmann als Deutscher U-12-Meister

Bei den Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften 2002 errang unser Mitglied Peter Lichmann im Wettbewerb U 12 mit 2,5 Punkten Vorsprung vor dem bayerischen Vertreter Baldauf den Titel. Als nach der Hälfte des Turniers absehbar war, daß sein Vertreter wohl keine Chance auf den Titel mehr hatte, legte Bayern Protest gegen die Startberechtigung von Lichmann ein mit der Begründung, dieser habe seinen Lebensmittelpunkt nicht in Deutschland, sondern in der Ukraine.

Laut DSJ-Newsletter Nr. 102 hat nunmehr der Arbeitskreis Spielbetrieb entschieden, daß Lichmann aus der Ergebnisliste gestrichen und Baldauf zum Deutschen U 12-Meister erklärt wird. Begründung: Lichmann sei erst am 20. Mai 2001 nach Deutschland gekommen, da die DJEM aber am 18. Mai 2002 (1. Runde: 19. Mai) begonnen habe, sei das Kriterium eines mindestens einjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht erfüllt.

Dazu stellen wir fest:

Dr. Till Schelz-Brandenburg, Vorsitzender


Stellungnahme der Deutschen Schachjugend (DSJ) zur Presseerklärung des SV Werder Bremen

Kürzlich hat Dr. Till Schelz-Brandenburg, Vorsitzender der Schachabteilung von Werder Bremen, eine Presseerklärung veröffentlicht, die nur begrenzt etwas mit den Vorkommnissen um den Ukrainer Peter Lichmann zu tun hat. Stattdessen hat er verkürzt, weggelassen und Behauptungen in den Raum gestellt.

Zuerst einmal: Die Vertreter der Bayerischen Schachjugend haben auf der Deutschen Einzelmeisterschaft 2002 Zweifel an der Startberechtigung von dem Bremer Starter in der DEM U12 angemeldet und die Deutsche Schachjugend (DSJ) aufgefordert, die Startberechtigung zu prüfen. Dies ist ihr gutes Recht und ihnen nicht vorzuwerfen. Dabei spielt auch keine Rolle, zu welchem Zeitpunkt sie dies tun.
Die Probleme wären im übrigen nicht erst während der DEM zum Tragen gekommen, wenn Bremen vor der Meisterschaft die offenen Fragen um die Spielberechtigung ihres Spielers mit dem Spielleiter der Deutschen Schachjugend geklärt hätte!

Die Spielordnung der DSJ ist sehr freizügig, was das Spielrecht von ausländischen Jugendlichen betrifft. Dies liegt in der Überlegung begründet, dass es eine Aufgabe der DSJ ist mit Sorge zu tragen, dass die ausländischen Jugendlichen schnell in unsere Gesellschaft integriert werden, und ein gutes Mittel dafür ist der Sport mit seinen Strukturen.

Natürlich sind aber auch bei einer großzügigen Regelung gewisse Punkte einzuhalten. In der Spielordnung heißt es daher:

1.4 An diesen Veranstaltungen können nur Jugendliche teilnehmen,

  1. die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder seit mindestens einem Jahr ihren Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben.
  2. die durch ihre Mitgliedsorganisation dem Deutschen Schachbund (DSB) gemeldet sind.

Um diesen Paragraphen 1.4 der Spielordnung geht es bei der Frage, ob Peter Lichmann spielberechtigt ist oder nicht.
Ein wichtiger Eckpunkt ist der Zeitpunkt, ab dem der Betreffende in Deutschland seinen Hauptwohnsitz haben muss. Dieser Zeitpunkt ist definiert und nicht frei wählbar. Natürlich kann es dabei zu knappen Entscheidungen kommen. Übrigens hat es früher schon Fälle in der DSJ gegeben, bei denen Spieler um ein, zwei Tage an dieser zeitlichen Begrenzung scheiterten. Aber der Feiertag 1. Mai ist halt auch der 1. Mai und nicht der 2., auch wenn dies dem Arbeitnehmer besser in seine Planung passt!
Der zweite Eckpunkt ist die Bedingung, dass man seinen Hauptwohnsitz in Deutschland haben muss. Dieser Hauptwohnsitz wurde in den zurückliegenden Jahren in ähnlichen Fällen interpretiert als Lebensmittelpunkt, den man in Deutschland haben und belegen können muss, zum Beispiel durch eine Schulbescheinigung, einen Lehrvertrag etc.

Und hier sind wir an einem entscheidenden Punkt angekommen. Wäre Dr. Schelz-Brandenburg nicht nach dem bekannten Muster vorgegangen, »ich gebe nur zu, was man mir beweisen kann«, dann hätte man in der Tat die anstehenden Fragen viel schneller und zeitnaher zur Meisterschaft klären können. Da Dr. Schelz-Brandenburg nicht an der Aufklärung der Fragen interessiert war, mussten dann halt auch die Bayerische und die Deutsche Schachjugend Fragen stellen und fast detektivische Arbeit leisten.

Zu klären waren unter anderem die Fragen, ob von einem Lebensmittelpunkt, einem Hauptwohnsitz Deutschland gesprochen werden kann, wenn ein 10jähriges Kind - dessen Familie in der Ukraine lebt - von seinen Eltern getrennt in gewissen Zeitabständen bei einem Vormund in Bremen lebt, keine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland erhält, vielmehr immer nur ein zeitlich befristetes Visum bekommt, nach Ablauf dieser Frist zurück zu seiner Familie in die Ukraine reisen muss, um dort ein neues befristetes Visum zu beantragen? Kann vom Ziel Integration durch Sport gesprochen werden, wenn der Betreffende hier offiziell gar nicht leben und die Schule besuchen darf?

All die Informationen über die Visaerteilung, die Befristung, die Bedingungen über die Aufenthaltsgenehmigungen bez. Nichtgenehmigungen mussten mühselig zusammen getragen werden, da die Informationen darüber freiwillig nicht zur Verfügung gestellt wurden.

Darf man als Verein wirklich in den Vordergrund die Aussage stellen, dass es einem nur um die Förderung und das Wohlergehen des Kindes geht bei der eben gerade beschriebenen Faktenlage?

Vollkommen haltlos ist nun die Behauptung, Peter Lichmann ist nicht in den Kader aufgenommen worden, weil sich der DSB auf die Seite von Bayern gestellt hat.

Der DSB hatte keine Möglichkeit, Peter Lichmann in den Kader aufzunehmen, da bis zum heutigen Tage Peter Lichmann international für die Ukraine spielberechtigt ist und nicht für den Deutschen Schachbund. Ein Antrag auf Föderationswechsel ist bis heute nur unvollständig vom Vormund gestellt worden. Es fehlen von der FIDE dringend benötigte Unterlagen. Die Aufforderung des DSB vom September 2002, diese nachzuliefern, ist bis heute unbeantwortet gebelieben!

Abschließend bleibt festzuhalten, dass es richtig und im Interesse der Teilnehmer der DEM und deren Eltern war, dass die Bayern bei der Deutschen nachgefragt haben und hinterfragt haben, wie diese Form der Jugendförderung abläuft. Ein Vorbild für die Vereine ist sie nicht, eher eine zweifelhafte Art der Nachwuchsarbeit. Denn Nachwuchsarbeit muss immer die Kinder und Jugendlichen im direkten Zusammenhang mit den Familien und der schulischen Ausbildung in den Mittelpunkt stellen und nicht die Interessen Dritter, wie begründet diese auch sein mögen.

Jörg Schulz im Auftrag des DSJ-Vorstandes

Quelle: Schach.com


Richtigstellung zu den Einlassungen der DSJ-Funktionäre Schulz und Wiebe zum Fall Lichmann

  1. Es ist ebenso bedauerlich wie typisch für den deutschen Schachbund, daß offenkundige Fehlleistungen von Funktionären mit persönlichen Verleumdungen des Kritikers beantwortet werden. So auch hier. Da solche Diskussionen sich stets als unfruchtbar erwiesen haben, werden sie auch von uns nicht weitergeführt. Den folgenden Informationen und Richtigstellungen werden keine weiteren Einlassungen des SV Werder Bremen folgen.
  2. Wenn Herr Wiebe schreibt, ich hätte statt über lieber mit der DSJ reden sollen, so »übersieht« er dabei die Kleinigkeit, daß wir mit Norbert Lukas seit dem Eingang des bayerischen Protestes ausführlich und kooperativ korrespondiert haben.
  3. Es sind uns vor der DJEM 2002 keine »offenen Fragen« gestellt worden, die Initiative für Peters Teilnahme ging von Lukas aus, wir haben lediglich geprüft, ob die Erteilung des Visums ein Jahr vor Beginn der Meisterschaft erfolgte, was der Fall war. Die imputierte mangelnde Bereitschaft zur Kooperation ist eine Erfindung von Schulz.
  4. Gleiches gilt für seine Behauptungen, ich sei an Aufklärung nicht interessiert gewesen und habe nur »zugegeben«, was man mir beweisen konnte. Wir haben sämtliche Dokumente, die einschlägig waren, vorgelegt sowie sämtliche Fragen, die in irgend einem Zusammenhang mit der Sache standen, beantwortet, anders hätte ja auch die Entscheidung nicht begründet werden können. Was da »mühselig zusammengetragen« werden mußte und wie ein Herr Schulz uns zu irgend etwas »zwingen« könnte, bleibt sein Geheimnis.
  5. Wir haben uns allerdings gegen Zumutungen gewehrt, quasi ein Stundenprotokoll über 365 Tage zu verfertigen, wie es Bayern von uns verlangte. Schulz & Co wissen sehr genau, daß Bayern u.a. vorbrachte, Peters Teilnahme an Schachturnieren im Ausland begründeten Zweifel an seinem Lebensmittelpunkt in Deutschland! Da haben wir uns allerdings geschlagen gegeben.
  6. Den schließlich mit unübertrefflichem Euphemismus als »Faktenlage« bezeichneten Erfindungen Schulzens zur Lebenssituation Peters seien nur kurz tatsächliche Fakten entgegengestellt:
    • Peters Visum hatte eine Laufzeit von einem Jahr, er mußte also keineswegs ständig in die Ukraine zurückreisen.
    • Der Vormund ist mit Einwilligung der Eltern bestellt worden.
    • Wir haben Peter einen aufwendigen Privat-Schulunterricht zukommen lassen, der z.T. bezahlt, z.T. durch entsprechend qualifizierte Mitglieder unserer Abteilung kostenlos über Monate hinweg erteilt wurde. Dies haben wir getan, weil wir gerade verhindern wollten, aus Peter einen »Schachidioten« zu machen. Daß unsere sehr intensiven Bemühungen bis hin zum Bremer Innensenator, Peter eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, zunächst nicht erfolgreich waren, berechtigt Schulz noch lange nicht zu unterstellen, wir hätten nicht Peters Wohl im Auge gehabt.
    • Abschließend sei darauf verwiesen, daß die Jugendabteilung beim SV Werder Bremen nicht nur die mit Abstand größte im Landesschachbund Bremen, sondern wahrscheinlich im gesamten nordwestdeutschen Raum ist, wobei wir etwa mit 7 Schulen mit dem Schwerpunkt Grundschulen kooperieren und dort Schach-AGs durchführen etc. Herr Schulz, der so gerne Jubelarien über gestiegene Mitgliederzahlen der DSJ verfassen läßt, sollte mit verleumderischen Äußerungen gegen diejenigen, die dafür die konkrete Arbeit leisten, ausgesprochen zurückhaltend sein.

Dr. Till Schelz-Brandenburg

Quelle: Schach.com


Anmerkungen

von Gustaf Mossakowski

Lara Stock

Es ist hier wohl Lara Stock gemeint, nicht Laura. Lara Stock ist Jugendweltmeisterin 2002 der Altersklasse U10 geworden, allerdings nicht für Deutschland, sondern für Kroatien. Dem sind einige Auseinandersetzungen zwischen dem Vater von Lara und seinem Umfeld (Trainer, Verein etc.) und der Deutschen Schachjugend (Bundesnachwuchstrainer, Geschäftsführer) vorausgegangen.

Beim Schachbund gibt es ein langes Diskussionsforum zu diesem Thema unter http://www.schachbund.de/pforum/showthread.php?id=313

Herr Wiebe

Patrick Wiebe, zur Zeit (03/2003) zweiter Vorsitzender der Deutschen Schachjugend

Norbert Lukas

Norbert Lukas ist zur Zeit (03/2003) Spielleiter der Deutschen Schachjugend.

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